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Glossar
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Angst
Weniger Psychologie und dafür mehr Handlung, mehr Schauwert, mehr Unterhaltung: Mit dieser Formel läßt sich Hans Steinhoffs Bearbeitung von Stefan Zweigs berühmter Novelle „Angst“ kurz umschreiben. Erzählt wird von einer jungen Frau in wohlhabenden Verhältnissen, die von ihrem Mann zugunsten seines beruflichen Erfolges vernachlässigt wird. Im Urlaub an der französischen Riviera hat sie eine kurze Affäre mit einem Maler, woraufhin ihr eine Erpresserin mit einem Skandal droht. Als Ausweg sieht die Frau nur das Geständnis vor ihrem Mann oder den Selbstmord. Ein Ringen um Wahrheit und Lüge, um Leben und Tod beginnt.
Hans Steinhoff bestätigt mit „Angst“ seinen Mitte der 20er Jahre erworbenen Ruf eines schnell, zuverlässig und kostengünstig arbeitenden Regisseurs für kultivierte Unterhaltungsfilme. Daß Steinhoff im Fall von „Angst“ eine Geschichte des international bekannten Bestsellerautors Stefan Zweig adaptiert, ist dabei auf die Strategie der Produktionsfirmen Orplid und Messtro zurückzuführen, die sich von diesem zugkräftigen Titel vor allem einen starken Werbeeffekt versprechen. Aus diesem Grund setzt der Film auch ganz andere Akzente als die Vorlage: Er führt eine Nebenhandlung ein und verstärkt die melodramatischen und kriminalistischen Elemente. Zweigs psychologisch nuanciertes Porträt einer von ihren Gefühlen hin- und hergeworfenen Frau verwandelt sich so in einen breit ausmalenden Genrefilm für ein großes Publikum, an dessen Seherfahrungen und Erwartungen von Spannung, Glamour und Spektakel er anknüpft.
Diese Form von Genrekino kümmert sich wenig um nationale Grenzen. Weil die deutschen Produzenten mit ihren Partnern aus Großbritannien nicht nur auf den deutschen, sondern auch auf den englischen Filmmarkt streben, wird „Angst“ zur Hälfte mit deutschen und englischen Schauspielern besetzt. Der Film spiegelt damit die vielfältigen Bemühungen um eine erfolgreiche länderübergreifende Zusammenarbeit, mit der sich Ende der 20er Jahre unter dem programmatischen Namen „Film-Europa“ die Hoffnung auf eine Konkurrenz zum mächtigen Hollywoodkino verbindet.
Nach der Berliner Premiere jubelt die Fachzeitschrift „Der Kinematograph“: „Eine sehr zarte, zerbrechliche Novelle des Dichters Stefan Zweig gibt hier den Hintergrund für ein Filmspiel ab, das die dramatischen Elemente des Vorbildes verstärkt und deshalb wirksam für die Leinwand macht. [...] Ein Kammerspiel, das an die besten Arbeiten von Lubitsch und Cecil de Mille erinnert, aber keineswegs eine Kopie ist, sondern den Regisseur Hans Steinhoff abermals als einen Könner mit eigenwilliger Begabung verrät. Das Spiel ist ganz auf die Wirkung der Darsteller gestellt. Der Rahmen, obgleich dekorativ wirksam, tritt nie aufdringlich hervor, sondern bleibt im Hintergrund einer Ensemblewirkung, wie man sie seit langer Zeit nicht im deutschen Film sah.“ (Der Kinematograph, 4.9.1928).
Bis vor kurzem existierte von „Angst“ nur eine englische Fassung. Dem Filmhistoriker Horst Claus (Bristol) und dem Bundesarchiv-Filmarchiv (Berlin) ist es zu verdanken, daß jüngst die deutsche Fassung des Films rekonstruiert wurde und heute in einer frischen Kopie zur Verfügung steht. „Angst“ ist nach „Der Mann, der sich verkauft“ (1925) und „Nachtgestalten“ (1929) der dritte Film von Hans Steinhoff, der in der Reihe der Stummfilmkonzerte zur Aufführung gelangt und die Arbeit des Steinhoff-Projektes von Horst Claus und dem Bundesarchiv-Filmarchiv in der Öffentlichkeit präsentiert.
Philipp Stiasny, 15.8.2006
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Filmbilder: Filmmuseum Berlin
(Original Programmheft der Uraufführung 1928)
Filmbilder: Bundesarchiv Filmarchiv
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