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Glossar
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Der Berg des Schicksals
[Arnold Fanck, D 1924]
Bergfilm
„Dieser Film wirkt mit der Wucht eines Naturereignisses. Da ist ein Bergsteiger, ein Mann, dem die Bezwingung der Gebirgswelt ein Rausch ist, wie dem Künstler das Schaffen. Aber, der Berg ist stärker als er ... (...) In seiner Einfachheit ist der Film ein vollendetes Drama. Berg und Mensch sind die Gegenspieler. Der Sieg der menschlichen Willensenergie über die Materie, des Geistes über die Natur. Diese Photographie ist von letzter Feinheit in der Behandlung des Lichtes, nähert sich der Malerei in der Art, wie sie das Wesentliche der Atmosphäre wiedergibt.“ So schreibt der „Film-Kurier“ 1924 über „Der Berg des Schicksals“. Der Verzicht auf Studioaufnahmen und die Arbeit in der freien Natur wurden zum Markenzeichen des Regisseurs Arnold Fanck und seiner Freiburger Schule, zu der auch Luis Trenker gehörte. Der jungen Tänzerin Leni Riefenstahl gefiel dieser Film so sehr, dass sie unbedingt mit Fanck zusammenarbeiten wollte. An ihrer Weiblichkeit zerbrach später die Freundschaft Fancks und Trenkers.
„Soll der Berg stärker sein als ich?“
Arnold Fanck sträubt sich nicht gegen die Moderne.
Das dramaturgische Prinzip von DER BERG DES SCHICKSALS ist einfach: je mehr der Filmheld schweigt, desto deutlicher spricht die Natur für ihn. Laut schreit da der Fön, singend tanzen die Wolken und säuselnd jammern die Wiesen. Die monumentale Architektur der Tiroler Alpen ist nicht nur Schauplatz der Handlung, sondern auch aktiver Mitspieler. Einerseits klettern Luis Trenker und Hertha von Walther auf eine spitze Felsnadel, andererseits stellt sich das Gestein ihnen offen in den Weg, und ein wildes Gewitter bricht krachend über sie herein. Die Handlung des Films schreibt vor, dass beide Filmhelden mit dem Tod ringen. Bei Fanck ist das immer auch eine sportlichen Herausforderung für die Darsteller. Und der Zuschauer leidet mit ihnen. Ein Kritiker berichtet 1924, wie sich „vor Angst die Hände der Zuschauer verkrampften“ und „an gewissen Stellen des Spiels oft laute Schreie des Schreckens ausbrachen“. Ein anderer Kritiker findet, dass DER BERG DES SCHICKSALS mit der Wucht eines Naturereignisses wirke. Ein gewaltiges Spektakel, ein erhabenes Naturerlebnis, das den Bedürfnissen des Publikums nach Unterhaltung genauso entgegenkommt wie der Lust am Schauen und Schaudern.
DER BERG DES SCHICKSALS ist Fancks erster melodramatischer Spielfilm, ein Film, in dem antagonistische Geschlechter rollen die Geschichte strukturieren. Leidende Frauen setzen die Handlung in Gang. Ein Bergsteiger versucht einen Felsen zu erklimmen und stürzt dabei ab. Seine Frau lässt sich daraufhin vom Sohn das Versprechen geben, den Felsen lebenslang zu meiden, an dem der Vater verunglückte. Die Jahre vergehen, und eine neue Frau sorgt für Unruhe. Die Freundin des Sohnes ist davon überzeugt, den Schicksalsberg allein bezwingen zu können. Doch sie scheitert. Widerwillig und unter Lebensgefahr besteigt der Sohn den Felsen und rettet sie.
Der Film parallelisiert Vater und Sohn, indem er die Bilder des sterbenden Vaters zwischen die des am heimischen Kamin kletternden Sohnes schneidet. Während der Vater seinen männlichen Tatendrang ungehemmt ausleben kann, ist das dem Sohn verwehrt. Er büßt für die Fehler des Vaters, was Jan-Christopher Horak als gesellschaftliche Parabel auf die Weimarer Republik liest. Am Ende des Films rettet der Sohn die Geliebte. Seine zurückgehaltene Körperlichkeit kann sich jetzt voll entfalten und erhält in der heroischen Tat einen tiefen Sinn.
Doch es ist nicht nur diese pathetische Handlung, die DER BERG DES SCHICKSALS von anderen Filmen der Populärkultur unterscheidet. Der Film lebt insbesondere von den an Originalschauplätzen gedrehten Naturbildern, einer innovativen Kameratechnik und einer eigenwilligen Montage. 1992 hat Eric Rentschler in seinem richtungweisenden Aufsatz zum Bergfilm die These aufgestellt, dass Fancks Filme immer beides seien, Moderne und Genrefilm, avantgardistische Ausdrucksform und triviales Melodram. Horak bezeichnet Fanck deshalb als einen „rechten Avantgardisten”.
Fancks Begegnung mit dem Gebirge kam zufällig: Er selbst stammte nämlich nicht aus dem Hoch land, sondern aus der Pfalz. Da er aber als Kind an Tuberkulose er krankte, schickten ihn seine Eltern ins Gymnasium nach Davos. Dort in luftiger Höhe lernte er das Skifahren und Klettern - und wurde gesund. Zeitlebens verklärte er das Wunder der Genesung, indem er der körperlichen Ertüchtigung und dem Bergsport huldigte. Alpines Sport treiben verstand Fanck als rauschhaftes Verlangen nach Extremsituationen und Prüfungen.
Bereits als Student der Geologie beteiligte er sich an alpinen Erstbesteigungen und dokumentierte das mit der Filmkamera. Nach dem Ersten Weltkrieg gründete er die Freiburger Berg- und Sportfilm GmbH. Der Autodidakt Fanck drehte Werbefilme für Kletterausrüstungen und Skigerät, später auch Lehrfilme über das Skilaufen. Es entstanden moderne Filme, die das Einzelbild in zwei Ebenen unter teilen. Auf der einen Seite zeigen die Bilder einen gewöhnlichen Skiabfahrtslauf. Auf der anderen Seite aber erscheinen die Skifahrer als schwarze Silhouetten im Gegenlicht, ihre Skispuren werden zu geometrische Mustern, der schnelle, rhythmische Schnitt lässt die Objekte auf den Bildern tanzen. Fancks Skifilme erinnern in ihrem Spiel aus Licht und Formen an ab strakte Filme.
Fanck, der Pionier der Kameratechnik, ist an der Eroberung und der technischen Beherrschung der Natur interessiert. Natur und Mensch bilden in diesem modernen Weltbild aber Gegensätze, niemals eine Einheit. Diese findet sich jedoch desto deutlicher auf der inhaltlichen Ebene der Filme. Fancks Filmhelden sind auf der Suche nach dem festen Boden unter den Füßen, ihre heroischen Taten geben ihrem Dasein Sinn. Auffallend ist, dass Fancks akrobatische Filmhelden ihre letzte Prüfung meist bewegungsunfähig bestehen. In DER HEILIGE BERG z.B. hält Karl (Luis Trenker) auf einem vereisten Felsvorsprung stehend eine ganze Nacht lang das Seil, an dem sein längst erfrorener Kamerad hilflos in der Tiefe hängt. Als das Morgenlicht sein Gesicht trifft, ist er bereit für den Tod. Dieser Tod verliert seinen Schrecken und wird ästhetisch überhöht als schönes Bild, er erhält einen Sinn.
An anderer Stelle durchbrechen Fancks Bilder aber diesen schönen Schein. Ihre Mehrdeutigkeit siegt über die narrativen Elemente der Erzähllogik. Arnold Fanck erzählt Geschichten mit einer konservativen Moral, tut dies aber nicht technologiefeindlich. Fanck sträubt sich nicht gegen die Moderne.
Jürgen Dittrich
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